365 Tage Stories

Ich betreue einen Süüürääär!!!

Telefonate beginnen in der Regel mit der persönlichen Vorstellung des Angerufenen und der Erwiderung des Anrufers. Das geht dann in etwa so:

»Guzek, guten Tag.«

»Guten Tag, mein Name ist Müller.«

Sollte kein weiterer Austausch von Floskeln folgen, nennt der Anrufer – in diesem Fall Frau Müller – das Anliegen.

»Wissen sie Herr Guzek, wir kennen uns nicht persönlich, aber ich bitte sie um ihre Mithilfe. Es ist bei ihnen, in die Wohnung Nummer siebzehn, ein neuer Mieter eingezogen. Er spricht noch nicht so gut Deutsch, deswegen versuche ich ihm zu helfen. Sein Name ist Fahadi. Mögen sie ihm freundlicherweise Klingelschilder und ein Briefkastenschild anfertigen?«

Wenn der Angerufene, in diesem Fall also ich, keine Verständnisfrage oder Einwände äußert, wird das Gespräch mit einer Bestätigung und einem Gruß harmonisch beendet.

»Das leite ich sofort in die Wege Frau Müller. Sollte ich noch etwas für sie tun können, rufen sie mich gerne an. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.«

»Danke, das ist sehr nett. Bis bald.«

Nun, was soll ich sagen. Ein durchweg positives Gespräch – und mal ehrlich, telefonieren ist gar nicht so schwer, oder?

Ok, kommen wir zur Realität. In der Hauptrolle: Frau Müller. Achtung das Telefon klingelt und ich gehe ran.

»Guzek, guten Tag.«

Hast du es bemerkt? Ich bin super gelaunt mit hilfsbereitem Unterton in der Stimme.

»Guten Tag. Mein Name ist Müller. Ich betreue einen Süüürääär!!!«

Boah. Jetzt wird es kompliziert. Du darfst nicht vergessen, ich bin Hausmeister. Kein Sprachwissenschaftler mit Schwerpunkt hysterisch vorgetragener Kehllaute. Süüürääär? Ich google in meinem Kopf. Keine Ergebnisse. Vielleicht meint sie Süüüdbääär? Ergibt aber auch nicht mehr Sinn. Soll ich nachfragen? Mich outen, dass ich nur mittleren Bildungsabschluss habe?

»Haallo, haben sie mich verstanden? Ich betreue einen Süüürääär!!!«
Tonal angesiedelt war Frau Müller jetzt zwischen stimmgedämpft und verschwörerisch. In der Mitte von Hee, willst du ein bisschen Koks kaufen? und Papa, ich habe auf den Rücksitz gekotzt.

Ich ringe nach Worten und versuche, das Gehörte in Einklang mit meinen Gedanken zu bringen, da legt Frau Müller noch eine Schippe drauf: »Wir müssen uns unbedingt einmal kennenlernen – der arme Flüchtling hat ja so eine schlimme Leidensgeschichte und spricht ja überhaupt kein Deutsch. Außerdem finde ich es überaus interessant mich mit anderen Menschen auszutauschen. «

Ach so. Jetzt begreife ich. Süüürääär meint Syrer. Freudig erregt, dass das Gespräch zu mir zurückgefunden hat, formuliere ich nun endlich meinen ersten Fragesatz.

»Was kann ich für sie tun, Frau Müller?«

»Das Beste wäre wohl ein Treffen, bei dem wir uns alle bald einander vorstellen. Dann können wir gemeinsam die Schilder für die Klingel und für den Briefkasten anfertigen. Das ist wichtig, damit die Post vom Sozialamt ankommt.«

Zwischenzeitlich wieder emotional begradigt, stelle ich mir dieses Treffen spasseshalber einmal vor. Frau Müller, ihr Schützling und ich unterhalten uns angeregt bei einem eigens dafür eingerichteten Termin über Klingelschilder. Auf Arabisch erzählt er uns eine Story vom Leben in der Fremde. Schöne Aussichten.

»Frau Müller, ich bin in einem Gespräch. Bitte senden sie mir den den Namen per SMS«, kürze ich das Telefonat jetzt rigoros ab und lege auf.

Manchmal hilft eben nur eine Ausrede, um die Höflichkeit zu wahren.

Die nächsten drei Tage verliefen noch  turbulenter als sonst. Unser Sohn hat sich den Daumen gebrochen. Unserem Sohn wurde der Daumen gebrochen. Egal, unser Sohn hat einen gebrochenen Daumen. Da er mit Fünfzehn bei jedem Arzt – oder Krankenhausbesuch einen Begleiter braucht, wurden die ohnehin schon kurzen Tage nochmals durch Zwangsaufenthalte in der Handchirugie beschnitten (Mehr zum familiären Chaos schreibt Sophie, wenn unser Hamsterrad etwas ruhiger dreht).

Nach sechs Stunden switchen durch zahlreiche Fachabteilungen des BG Klinikum Hamburg, startete ich um zwölf endlich mit meinen ersten regulären Termin. Nadja, eine meiner Lieblingsmaklerinnen*erwartete mich gut gelaunt – sie hatte gerade eine Wohnung verkauft und wir dokumentierten Zählerstände. Es duftete nach frisch gereinigten Fluren und niemand wollte Stress. Seltene Idylle im Hochhaus. Bis mein Handy klingelte …

„Guzek, guten Tag“, meldete ich mich.

»Guten Tag. Mein Name ist Müller. Erinnern sie sich noch an mich? Ich betreue einen Süüürääär.«

Wie hätte ich diese Stimme vergessen können. „Ja ich erinnere mich“, in Richtung Nadja verdrehte ich die Augen und gab ihr zu verstehen, dass das Gespräch nicht lange dauern würde.

„Wissen sie Herr Guzek“, setzte Frau Müller ohne Punkt und Komma nach. „M e i n Schützling, Herr Fahadi bekommt Morgen Internet. Der Mitarbeiter von der Telecom der den Anschluss freischaltet muss dringend in den Keller es wäre schön wenn sie in der Zeit von acht bis elf Uhr vor Ort wären.“

Was Frau Müller nicht wissen konnte: In diesem Haus ist der Technikraum nicht im Keller sondern im Erdgeschoss und in Zeiten in denen manche Mieter quartalsweise Telefon-, Internet- und  Stromanbieter wechseln, bin ich bei solchen Terminen auch nicht dabei – wer sollte die vielen Stunden Wartezeiten bezahlen? Zur Vereinfachung gibt es zu den elektrischen Schaltschränken schon längst spezielle Techniker-Schlüssel.

Hilfsbereit starte ich einen Erklärungsversuch. Streng sachlich.

„Frau Müller, der Techniker muss nicht in den Keller und benötigt auch keine Hilfe von mir. Er hat … “

„Doch! Doch! Doch! Ich telefonierte gerade mit dem Service-Center! Der Techniker muss in den Keller!“ Ein Ausrufezeichen jagt das nächste. Frau Müller bockte.

Obwohl Frau Müller mich mitten im Satz unterbrach, unternahm ich einen weiteren gütigen Anlauf, wobei ich den Wortlaut zum Teil einer alten Nescafe-Werbung entlieh . „Frau Müller, wir haben gar keinen Keller.“

Offensichtlich hatte Frau Müller schon einen Espresso zuviel. Völlig von der Rolle blaffte sie mich an: „Warum helfen sie mir nicht?! Wie soll mein Schützling denn zurecht kommen?!“

Anscheinend war Frau Müller nicht in der Lage zuzuhören. Verlernt? Mir reichte es. Da ich in keinem Vertragsverhältnis zu ihr stand, fiel es mir leicht aus dem Gespräch auszusteigen: „Frau Müller, sagen sie bitte Herrn Fahadi, er möge sich bei allen künftigen Anliegen direkt an mich wenden.“

„Aber .. „, hörte ich noch, doch das war mir egal. Maklerin Nadja, zog ihre Augenbrauen hoch, hatte sie doch einen Teil des Gespräches mitbekommen. So schroff bin ich selten.

Ich beurteile Menschen nicht nach Aussehen, Herkunft oder ihrem Stand, sondern nur nach ihrem Verhalten. Daran konnte auch eine nervende Betreuerin nichts ändern. Um sicher zu gehen, dass der neue Mieter auch tatsächlich zu seinem wichtigen Internet-Anschluss kam (er konnte schließlich nichts dafür), hielt ich mich am nächsten Tag in dem mir bekannten Zeitfenster, im Eingangsbereich des Hauses auf. Der Servicemitarbeiter  der Telekom kam pünktlich, öffnete mit seinem Schlüssel die Tür, grüßte und machte routiniert seine Arbeit. Fünf Minuten  – fertig. Weit und breit keine Frau Müller in Sicht.

Heute (Tarrrraaaa – ein kleiner Tusch!!!) – endlich – klingelte Herrn Fahadi. Netter Kerl. Er benötigte dringend Marken für die Münzzähler im Gemeinschaftswaschraum. Die Verständigung klappte auf Anhieb prima. Wir wählten eine Mischung aus Deutsch, Englisch und ein bisschen Französisch, lachten zusammen. Scherzten. International.

Meinen ersten Syrer – mit echten Ausweisdokumenten  – hatte ich übrigens schon 2009, als die meisten Deutschen sich mit Einwanderern aus osteuropäischen Ländern beschäftigten und Syrien noch einen bedeutungslosen Fleck auf der Karte im Weltatlas belegte.

Mein Tipp an die Frauen und Herren Müller dieser Welt: Schön wenn ihr helfen wollt, aber verlangt dafür nicht überall und von jedem eine Medaille. Wir helfen auch, und zwar immer und Jedem gleich.

(*Definition: Makler(innen), die sich wirklich um die Belange ihrer Kunden kümmern.)
ANMERKUNG: Die Auswahl der Namen und Handlungen ist rein zufällig und ein Bezug zu tatsächlich lebenden Personen ist nicht beabsichtigt. Die Geschichte könnte sich jedoch ähnlich ereignet haben.