365 Tage Stories

Die Geschichte zum Blog

Ein Samstag im Hochsommer. Sophie und ich wohnten mit unseren kleinen Kindern in einer eigentlich schönen Wohnung mit Dachterrasse. In einem Hamburger Vorort. Gerade erst eingezogen, machten wir uns bereits ernsthafte Gedanken über einen baldigen Auszug, denn es herrschten im Haus große Defizite hinsichtlich Sicherheit und Sauberkeit. Unter unseren Nachbarn gab es einen Drogen-Dealer mit grünem Daumen,  Nazis mit Faible für zackige Hausmusik, gesellige Freizeit-Alkoholiker ohne feste Anstellung und den kraushaarigen Anführer einer Jugendbande. Letzterer organisierte, mit minderjährigen Gefolgsleuten, nächtliche Einkaufsbummel Beutezüge in den umliegenden Geschäften. Er war nicht nur Anwalts- sondern auch des Jugendrichters-Liebling. Nicht selten fanden Feierlichkeiten und Streit ihre Fortsetzung im Treppenhaus.

Zu allem Übel logierte der Tunichtgut uns genau gegenüber.

Akribisch studierten wir bei Kaffee und Kuchen die Annoncen in den regionalen Anzeigenblätter. Wohnungen gab es genug, denn einige Kilometer Luftlinie entfernt lockte das jüngst fertiggestellte, größte Neubaugebiet Europas mit niedrigen Quadratmeterpreisen: Neuallermöhe. Mit einem Rotstift markierte Sophie gerade ein besonders interessantes Angebot, als unsere kleine Tochter ins Wohnzimmer stürzte. „Papa, Mama, draußen sind Männer und die finden mich süß“. Oh, Schreck, schoss es mir durch den Kopf – jetzt auch noch Pädophile. Mein Blick glitt über die handliche Baseballkeule. Sie stand griffbereit hinter der Tür um notfalls jegliche Bedrohung von meiner Familie abzuwehren.

Meine Vorsicht war in diesem Fall unbegründet.

Freundlich, mit einem sympathischen Lächeln, begrüße mich ein Mann mittleren Alters.

„Mein Name ist Norman Ottis. Ich vertrete die Eigentümergemeinschaft des Hauses. Wir machen gerade eine Objektbegehung“, hob er an und reichte mir seine Hand. Fester Händedruck, nette Erscheinung, dunkler gepflegter Anzug – vertrauensfördernd. Die Keule hatte Spielpause.

Reihum stellt er mir die anderen vor. Mit von der Partie: zwei weitere Vertreter der Eigentümer, die Maklerin für den Vertrieb noch nicht verkaufter Wohnungen, ein Direktor der finanzierenden Bank. Dazu gesellten sich der Chef der Wohnungsverwaltung und dessen Sekretärin.

Im Schnelldurchgang stellte ich mich vor.

„Solche Mieter wie sie brauchen wir hier“, freute sich der Herr Ottis. „Fühlen sie sich denn hier wohl?“

„Wir wollen schon wieder ausziehen“, dämpfte ich seine gute Stimmung und erklärte ihm die Gründe dafür. Den Kurzbericht beendete ich mit den Worten „Wenn ich hier Hausmeister wäre, würde ich das ganz anders machen.“

„Ja, wenn sie meinen“, antwortete der Eigentümervertreter spontan. „Wir erwarten ihre Bewerbung bis Montag. Wir suchen nämlich einen neuen Hausmeister!“

„Schaaatz, ich soll mich als Hausmeister bewerben – ich bin doch nicht blöd“, empörte ich mich später.

Nur einen Monat später trat ich meinen Dienst an. Es dauerte allerdings sieben Jahre, bis alle Störenfriede entfernt waren: Der Bandenführer ging in Haft, weil er auf einem Bahnhof bei laufender Kamera jemanden auf die Gleise schubste und sein gnädiger Richter ihm nicht mehr helfen konnte. Die Nazis erwischte ich selbst, als sie in der Tiefgarage die Reifen einiger Autos aufschlitzten – in Uniform der Bundeswehr. Wir machten einen Deal. Sie bezahlten den Schaden und zogen aus, damit ich sie nicht bei ihrem Dienstherrn anzeigte. Den meisten Ärger machte der Drogendealer. Seine Eltern verstarben kurz nacheinander und er erbte die Eigentumswohnung, in der er vorher Mieter war. Es ist nicht immer von Vorteil, wenn man sich seine Brötchen nicht selbst verdienen muss.

Er erlöste sich und uns mit einer Überdosis – im verflixten siebten Jahr!

Böse Zungen behaupteten die ganze Hausgemeinschaft hätte für den letzten Schuss zusammengelegt. Totaler Quatsch, denn einige waren im Urlaub.

Inzwischen hat sich vieles verändert. Wir haben zwar immer noch einen (oder mehrere?) Drogendealer und einige wenige Bewohner mit Alkoholproblemen – doch nicht mehr als anderswo. Mit Stolz: In „meinen“ Häusern wohnen Menschen aus mehr als 30 Nationen, wovon die meisten ihre Ruhe haben wollen.

Die nächtlichen Rundgänge mit Hund und Taschenlampe gehören schon lange der Vergangenheit an – die Geschichten aus dieser Zeit bleiben und finden nach und nach Platz in den Artikeln.

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