365 Tage Sicherheit Stories

Spion gegen Spion

Der amerikanisch-kubanische Zeichner Antonio Prohias schuf mit genialer Feder die Comic-Serie Spy vs. Spy. Die Protagonisten, zwei gewitzte Spione,  begegneten sich erstmals im Jahr 1960. Einer schwarz. Der Kontrahent weiß. Sinnbilder des kalten Krieges. Die Agenten kämpften in unzähligen Episoden schonungslos, trickreich, bedächtig den Anderen spektakulär um die Ecke zu bringen. Humorvoll, wenn auch – wahrscheinlicher weil – politisch unkorrekt. Anfangs veröffentlicht im US-Mad-Magazin. Inzwischen weltweit verlegt und von Pepsi für Werbespots lizenziert. Kult. Die gezeichneten Figuren haben bis heute nie an Popularität verloren. Warum auch? Selbst ohne Feindbild Ost gegen West gibt es weiterhin einen Stellenmarkt für Kundschafter. Tätigkeitsfelder sind Industrie- und Cyberspionage.

Durch Wirtschaftsspionage in deutschen Unternehmen erleiden die Branchen jedes Jahr mehr als 15 Milliarden Verluste. Die Spione kommen vorrangig aus Asien ca 35 %, aus der Sowjetunion 33 % und  aus Deutschland selbst mit ungefähr 30 %.

 

Videoüberwachter Hauseingang.

Bei gehobener Wohnausstattung inclusive – Kameraüberwachte Haustüren.

Mächtige Regierungen kaufen Hacking-Software um die Bürger auszuspionieren. Erschreckend – Abnehmer sind nicht nur Diktaturen. Zugegeben, diese Spionagetätigkeiten handeln fern unserer täglichen Wahrnehmung, doch was ist mit den Fotografen, die den Erlkönigen auf der Spur sind? Den Paparazzi in Cannes und Monte Carlo auf der Jagd nach einer schmutzigen Story – gedruckt auf recycelten Papier? Dem Reporter vom Lokalblatt mit subjektiven Geschreibsel schwarz auf weiß? Sind das nicht auch Spione? Ich finde ja. Der Beruf hat viele Facetten. Und das Schönste ist: Du darfst mitmachen! Ehrenamtlich. Sei augenblicklich ebenso Spion.

Dein Auftrag: Ermitteln auf eigene Faust. Erspüren von Allem und Nichts. Ohne in die Welt zu schweifen, beginne einfach in deinem Treppenhaus.

Im Dienste der Allgemeinheit übernimmst du per sofort das glorreiche Amt: Die bedingungslose Verteidigung der Nachbarschaft! Pflichtlektüre ist der Film »Das Fenster zum Hof« mit James Stewart und Grace Kelly in den Hauptrollen. Bald führst du Regie und besetzt alle Schlüsselpositionen in Personalunion.
Doch prüfen wir kurz gemeinsam deine Qualifikation: Vorzugsweise bist du arbeitssuchend oder verfügst im Job noch über ein Kontingent ungenutzter Fehlstunden; du likst Technik; bei Computer denkst du nicht zuerst an Geflügel. Wenn du wenigstens einen der Punkte erfüllst, erachte dich pauschal geeignet. Ausschlusskriterium?Für diese Tätigkeit musst du geboren sein! Beginne die Arbeit mit ein paar einfachen Übungen und lerne spielerisch deine Umgebung kennen. Wann kommen Paketdienste? Der Postzusteller? Wie lange reinigt die Putzfrau? An welchen Tagen arbeitet der Hausmeister? Wer ist  dein Nachbar links, rechts, oben unten? Nur Mut, es ist ganz leicht. Nach einer Weile beherrscht du sämtliche Abläufe und identifizierst mühelos Bewohner, Besucher, Handwerker und Pflegedienste.

Am besten bastelst du dir zur Lernkontrolle ein Memory-Spiel. Auf die eine Hälfte der Karten klebst du Fotos von Mietern, die du heimlich mit dem Handy aufgenommen hast. Die zweite Hälfte versiehst du mit den dazugehörigen Wohnungsnummern. So hast du immer etwas zu tun, auch wenn mal nichts passiert. Im übrigen sind die Zeiten lange vorbei, als man sich zum spionieren hinter der Gardine verstecken musste, um auf die Straße zu spähen. Stehend, in unbequemer Haltung. Denke an deine Gesundheit und schaue ins World Wide Web. Ein Klick, schon geht sie auf den Weg: Die kabellose IP-Kamera inklusive Bewegungserkennung, Nachtmodus, Mikrofon und Lautsprecher, WLAN, LAN. Ein wahres Schmuckstück für die Fensterbank. An den zahlreichen Fünfsterne Bewertungen anderer User siehst du, dass du nicht alleine bist auf der Welt.

Willkommen in der riesigen Community der Überwacher.

Ebenfalls im virtuellen Einkaufswagen: Die 5 Mega-Pixel-Spionkamera mit SD-Karten-Slot zum Austausch des veralteten Weitwinkelokulars in der Wohnungstür. Unfassbar, da vermagst du sogar einen 32-Zoll Flachbildschirm anschließen. Nun wird man dich auch nicht mehr ausmachen können, wenn du der sexy Nachbarin von gegenüber durch das Guckloch lüstern auf den Hintern schaust. Jetzt ist Zeit für den Eintritt in eine höhere Dimension. Stöbere ausgiebig in den einschlägigen Online-Shops der Polizei, Detektei- und Securitymitarbeiter. Empfange daraus zusätzlichen Input. Die Technik für Hobby-Spione hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt.

Im September schrieb eine große Tageszeitung: 500.000 private Kameras überwachen Deutschland. Eine Zahl, die ich anzweifele. Meiner Logik nach wird es wohl mindestens die doppelte Menge sein. Insbesondere, da die Redaktion einen Artikel mit gleicher Überschrift eines anderen Verlages aus dem Jahr 2014 coverte und Überwachungstechnik immer billiger wird.

 

Hole Farbe ins Leben mit der Vorratsdatenspeicherung-Home-Edition. Eine einfache Überwachungssoftware läuft auf jedem Notebook, da darfst du beruhigt gelegentlich das Apartment verlassen, ohne etwas zu verpassen. Vorzugsweise, pünktlich auf die Minute, wenn die DHL, Hermes oder UPS gerade ihre Pakete ausliefern. Ist ein Nachbar außer Haus, sei du zur Stelle. Biete selbstlos Hilfe an und verwahre die Sendungen mit gebührender Obhut. Die Adressaufkleber sind öffentlich, da kannst du bis zur Abholung schon mal einen kurzen Blick riskieren. Die Absender geben Aufschluss über den Inhalt. Finde heraus, wo die Mutter vom Mäxchen ihre Babynahrung kauft und was sie ihrem Mann zum Geburtstag schenkt.
Übe dich in akribischer Recherche. Manche Erotikshops verwenden beispielsweise harmlos klingende Tarnnamen, um Diskretion zu gewährleisten. Ha, die haben nicht mit deiner Intelligenz gerechnet … – bald weißt du genau in welchen Nachtschränken Dildo und Co im verborgenen schlummern. Bekommst du etwa kalte Füße, wenn du in die Privatsphäre fremder Menschen eindringst? Ruhig Blut, weder die Hausverwaltung noch die Polizei interessiert die innere Sicherheit deines Heimes. Einer muss es tun. Der Erste sein. Opfer bringen für die Allgemeinheit. Ändere den Blickwinkel auf die Gesellschaft: Mittels flexiblen Kamerahälsen kannst du sogar unbemerkt um die Ecke in das Schlafzimmer der Nachbarn spitzeln.

Ist es dort zu dunkel? Kein Problem. Ersetze schnell die angeborene Nachsicht durch Nachtsicht und überzeuge dich mit einem erneuten Blick, ob de facto alles in Ordnung ist.

Upps, das Pärchen ist gerade beim Liebesakt. Na da willst du nun wirklich nicht stören, also ziehst du dich taktvoll zurück und lässt lediglich leise die Kamera mitlaufen. So sensibel bist du – ein toller Typ. Zartfühlend setzt du die brandneuen Gehörmuscheln über. So etwas, was die Bauarbeiter tragen um sich vor Lärm zu schützen, wenn sie mit dem Presslufthammer den Asphalt aufstemmen. Du gibst dich selbstverständlich nicht mit der simplen Variante aus dem Baumarkt zufrieden. Deine Hartschalen entstammen selbstredend dem Jagdzubehör. Der Mercedes unter den Micky-Mouse-Ohren, wie die Dinger im Volksmund genannt werden. Das Premium-Modell in der Light-Ausführung kostete zwar 300,- Euro, ist jedoch jeden Cent wert, da man gewünschte Frequenzen herausfiltern kann. Ein Jäger vermag in seinem Revier den Jagdhund und das Wild noch Kilometer entfernt ausmachen – ein Wunderwerk der Technik. Nun hast du weder Hund noch Wald, aber was in der Natur funktioniert, findet auch im Hausgebrauch eine Anwendungsmöglichkeit. Schalter auf on und schon kommst du gerade rechtzeitig zum Hörspiel-Finale im Nachbars Schlafzimmer.  Das Gerät verstärkt Geräusche aus der Umgebung durch die Betonwand hindurch um das 4fache – so erlebst eine Symphonie der Lust in brillanter Stereoqualität.Wenig später wechselt das ekstatische Stöhnen am Ohr in süßes Säuseln. Wie tolle Nachbarn du doch hast. Friedlich, mit einem Lächeln, schläfst du ein und träumst schräge Erotik-Cartoons deiner Comic-Helden Spy vs. Spy. Sicherlich eine Marktlücke.

Ebenfalls lächelnd, allerdings hellwach, wählt ein Unbekannter mit unterdrückter Nummer in einem 350 Meter Luftlinie entfernten Hochhaus die eins eins null.

Während  er dem erstaunten Beamten von deinen Aktivitäten erzählt, lässt er dich nicht aus den Augen. Er verwendet das zur Zeit stärkste Fernglas der Welt mit 160-facher Vergrößerung und mega-zoom. Im Vergleich zu deiner technischen Ausrüstung ist der Preis verhältnismäßig gering. Man bekommt es für bummelige dreihundertfünfzig Euro im Fachhandel. Der anonyme Gegenspieler geht übrigens einer ähnlichen Passion nach wie du. Dennoch seid ihr grundverschieden. Du bist Voyeur. Er ist Denunziant. Der besondere Kick für ihn ist das Anschwärzen bei der Polizei. Damit er von draußen nicht gesehen wird, investierte er sinnvoller Weise in blickdichte Fensterfolie und Jalousien. Tarnung ist alles! Dafür ist es jetzt für dich zu spät: Uniformierter Besuch steht vor der Tür. Bitte recht freundlich … – und die Memory-Karten für die Wartezeit in der Untersuchungshaft nicht vergessen.

Fantasie? Nein Wirklichkeit … – schütze deine Privatsphäre und sei nicht zu vertrauensselig.