365 Tage Gewusst wie

Nur der frühe Makler fängt den Wurm

Unsere Söhne trainieren seit Jahren Kampfsport. Genau genommen Kung Fu. Das tun sie nicht, weil sie irgendwann Hausmeister sein wollen, sondern zur allgemeinen Leibesertüchtigung. Dass sie als eine Art Abfallprodukt üble Zeitgenossen in die Flucht schlagen könnten, betrachten Ricky und ich zunehmend mit Wohlgefallen.

An den Trainingstagen spielt Papa den Chauffeur für Hin – und Rückfahrt. In der Wartezeit kaufe ich ein und schreibe am Buch oder am Blog.

Die Kampfschule liegt zentral neben REWE, Lidl und Edeka. Das ist praktisch, da brauche ich nur einmal parken.  Gestern bemerkte ich nach meiner Ankunft, vor einem Hauseingang Männer und Frauen. Zuerst Fünf, dann wurden es mehr. Eine Demo? Abends, um viertel vor sechs? Weit im östlichen Hamburg? Unwahrscheinlich. Oder beobachtete ich einen Hotspot für die Zeitfalle Nr.1 – dem Pokemon-Wahn? Denkbar. Die Hälfte der Gruppe schaute intensiv auf das Handy.

Kurzes googeln im ImmoScout brachte mir die Erkenntnis: Es ging um eine Wohnungsbesichtigung. Einzimmer. 31 Quadratmeter. Frei per sofort. 444 Euro Warmmiete. Treffpunkt vor dem Haus um 18 Uhr.

Als ich zwanzig Minuten später mit einigen Einkäufen zurück zum Auto schlenderte, hatte sich der Pulk Wohnungssuchender zu einem ordentlichen Menschenauflauf entwickelt. Allerdings weit und breit kein Makler in Sicht. Typisch, denn erfahrungsgemäß kommen Makler häufig zu spät. Beliebte Ausrede ist „Ich war im Stau“ oder „Schuld ist der Feierabend Verkehr“. An Platz drei „Ich fand keinen Parkplatz“  funktionierte Heute sicherlich nicht – es gab mehr freie Stellplätze als zu erwartende Autos.

Mit High-Speed schoss plötzlich ein Mini-Cooper mit der Aufschrift eines Hamburger Immobilen-Büros über den Innenhof, wählte eine Lücke, bremste, parkte. Die ungeduldig Wartenden – inzwischen war es laut geworden und es hatten sich kleine Sympathie-Gemeinschaften gebildet – verfielen schlagartig in die Maklerstarre. Eine Art Schockzustand, um nicht unangenehm aufzufallen. Man strebte ja schließlich nach einer Wohnung. Der Makler hat, durch die augenblickliche Defensive der Mietinteressenten, gleichsam leichtes Spiel, sein spätes kommen zu entschuldigen. Ich konnte zwar nicht hören, was er sagte, als er mit einer Mappe bewaffnet zur Haustür eilte, aber es war ohne Unterhaltungswert – Keiner lachte.

Zeitdiebe sind Unisex

Schuld am lockeren Umgang mit der Nichteinhaltung von Terminen ist vermutlich die Bundeswehr. Durch die Abschaffung der Wehrpflicht fehlt, wenigstens den Männern, ein Teil wichtiger Erziehung. In Uniform prägte meine Generation der Satz: Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Soldaten Pünktlichkeit. Diese Regelung lässt sich prima auf andere Berufsgruppen übertragen: Maurer, Kaiser, Gerichtsvollzieher, Versicherungsvertreter und sogar Auftragskiller handeln danach. Klar, gibt es für echte Regeln Ausnahmen: In Universitäten gilt immer noch cum tempore, die akademische Viertelstunde.

Die Viertelstunde vor einer Wohnungsbesichtigung ist wichtiger als so manche Selbstauskunft!

Meine väterliche Verweilzeit auf dem Parkplatz betrug ungefähr 90 Minuten. Obwohl ich mir anfänglich sicher war, dass ich das Ende der Besichtigung noch miterleben würde, wurde meinen Geduld auf eine harte Probe gestellt. Erst als meine Kung Fu-Sportler schon in Sichtweite auftauchten, verließ der Makler mit 17 (in Worten siebzehn) Mietinteressenten im Schlepptau wortlos das Haus. Ich verglich seinen  Gesichtsausdruck mit dem meiner Kinder, die zwischenzeitlich einige hundert Sit-Ups, Liegestützen, Schläge, Sprünge und ein immenses Lauftraining hinter sich gebracht hatten – im Gegensatz zu ihnen sah er völlig erledigt aus. Vielleicht wäre er entspannter gewesen, wenn er meine 10 wertvolle Tipps für die stressfreie Wohnungsbesichtigung gekannt hätte.

Mein Tipp an Makler und Vermieter: Seid unpünktlich, aber niemals zu spät. Kommt mindestens fünfzehn Minuten früher (auch das ist nach Knigge unpünktlich). Mischt euch unauffällig unter die Interessenten. Beobachtet: Wer spuckt auf den Boden; wer schnippt achtlos seine Zigarette in das gepflegte Blumenbeet; wer trinkt noch einen schnellen Schluck aus der Pulle oder pinkelt unverfroren in den Kellereingang. Nutzt eure Anonymität. Wenn ihr dann ganz in Ruhe jeden Bewerber in Ja oder Nein einstufen könnt, tretet ihr selbstbewusst auf die Minute pünktlich vor und gebt euch freundlich als Makler oder Vermieter zu erkennen.