365 Tage Stories

G’Day oder mein persönliches Dschungelcamp

Das Telefon klingelt in den letzten Tagen immer erst ab Mittags. Ich vermute einen direkten Zusammenhang zum Dschungel-Camp. Die Leute schauen Abends länger fern und schlafen dann aus. Wenigstens die, die nicht zur Arbeit müssen.

Ich guck mir das selbstverständlich auch an. Nicht privat, sondern rein beruflich, denn ich bin nicht so sensationshungrig, wie die anderen sechs Millionen Zuschauer.  Aber mal ehrlich. Hätten die Moderatoren gestern in Down-Under nicht noch ein klitzekleines Krokodil mit in die Box schmuggeln können?  Hanka hätte das sicherlich nicht gestört – sie profitierte in der Prüfung vom fundierten Allgemeinwissen aus der Schulzeit. In den nächsten Jahren wird man bei ähnlichen Spielen das Niveau der Fragen stark absenken müssen, damit überhaupt noch jemand in der Lage ist einen Stern zu erlangen. Meine Favoriten für den Thron sind übrigens Kader und Hanka. Beide kenne ich schon aus anderen RTL-Serien, die ich ebenfalls n u r zur Weiterbildung intensivst verfolgte.

Mein Platz in Down-Under

Oft schlafe ich während der Werbeblöcke ein und verpasse dann den Rest.  Das empfinde ich nicht als schlimm, denn das Dschungel-Camp ist für mich nichts anderes als die Kopie der kleinen Reihenhaus-Siedlung, in der ich viele Jahre lebte. Da ist man einiges gewohnt.

Es waren übrigens exakt 12 Reihenhäuser. Genauso so viele, wie es jetzt Kandidaten gibt. Da hat RTL wohl ein bisschen abgekupfert. Eventuell ist das Dschungel-Camp auch nur eine Vorstufe zu einer Reality-Show mit dem Namen: „Ich bin Hausbesitzer, kauft mich hier raus.“ Drehbuch-Potential gäbe es genug. Du glaubst gar nicht, was zwischen langjährigen Nachbarn alles ab geht. Intrigen, Diebstähle, Morddrohungen, bis hin zur Vergiftung geliebter vierbeiniger Freunde habe ich schon vieles erlebt.

Meine netten Nachbarn hießen Schlaumann, Hohmann, Müller, Brösel, Schmidtke, Holzer, Brenner, Öztürk, Meissner, Fahrenheit und Schimmel. Äußerlich ordentliche Leute mit gepflegtem Vorgarten und sauberer Fassade. Sie alle würden öffentlich, jegliche Sympathie zu Honey, Jens, Markus und Fräulein Menke verleugnen. Ausser vielleicht  Horst Brösel, Betriebswirt aus Nummer 53. Der hatte eine allen bekannte Affäre mit Frau Hohmann und mit Frau Schmidtke. Mehr noch, der Sohn der Schmidtkes, inzwischen zwanzig,  trägt die selben Gesichtszüge wie der ehemalige Liebhaber seiner Mutter. Das ist peinlich aber nicht mehr zu ändern, also arrangiert man sich mit der Situation.

Was sollten sie auch tun? Das Eigenheim verkaufen? Solange die Kinder noch nicht mit dem Studium fertig waren undenkbar. Und warum nicht jetzt das Weite suchen? Dumm gelaufen. Es lohnt sich nicht mehr, denn nur ein paar Ecken weiter erwarb eine städtische Trägergesellschaft eine große Villa als Unterkunft für schwer erziehbare Jugendliche. Von einem Tag auf den Nächsten, halbierten sich im großen Radius die Grundstückspreise. Betroffen sind mehr als einhundert Häuslebauer. Leider ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Durch Panikverkäufe fallen die Preise weiter. Bald heißt es vielleicht „Geschenkt ist noch zu teuer.“

Na ja, du merkst schon ganz kann ich meine Schadenfreude nicht verbergen. Besonders mein ehemaliger linksseitiger Nachbar hätte es nicht besser verdient. Er vermieste mir mit seinem Partylärm das eine oder andere mal gehörig die Laune. Dann baute er sich einen Teich in den Vorgarten. Mit Fischen. Einem Bachlauf. Grünpflanzen. Idyllisch wie wir das von unseren Aussies kennen. Mit zunehmender Population der Fische vergrößerte der Nachbar nach und nach das Volumen der Zirkulationspumpe. Anfänglich lief sie nur stundenweise, später fast ohne Unterbrechung. Ruhe im Garten? Klar, wie unter einem Wasserfall.

Gewalt ist keine Lösung beschlossen wir im Familienrat und verlegten bei gutem Wetter unser Sonnenbad auf die West-Terrasse. Das ging genau ein Jahr gut. Dann montierte der nette Anwohner genau neben unserem Grundstück ein monströses zwei Meter hohes Wasserspiel. Als wir vorsichtig unseren Unmut bekundeten, wischte er ganz lapidar die Argumente vom Tisch: Wir wären die Einzigen, die sich beschwerten. Klar, die anderen trauen sich heute noch nicht etwas zu sagen. Wer legt sich schon gerne mit einem Platzhirsch an. Glücklicherweise hatten wir das Reihenhaus nur gemietet und konnten uns in aller Ruhe etwas neues suchen. Unseren Auszug haben wir bis heute nicht bereut.

Wenn du mich jetzt fragst: „Möchtest du dich lieber im Dschungel-Camp zum Affen machen oder in so einer verlogenen Nachbarschaft zubringen“,  packe ich sofort meine Koffer und besuche Honey, Marc, Gina-Lisa, Nicole, Marcus, Sarah, Jens, Hanka, Kader, Florian, Thomas und Fräulein Menke in ihrer grünen WG.

ANMERKUNG: Die Auswahl der Namen und Handlungen ist rein zufällig und ein Bezug zu tatsächlich lebenden Personen ist nicht beabsichtigt. Die Geschichte könnte sich jedoch ähnlich ereignet haben.