365 Tage Stories

Die Wohnungstür kann nichts dafür – Kleine Einbruchserie (1)

„Eh, hier ist Telekom-Kalle störe ich?“ quäkt es aus meiner Freisprechanlage mit der ich mich gerade in rasanter Fahrt auf den Weg in den Feierabend bewege.

„Neben mir steht der Wanzen-Fischer,“ ohne meine Antwort abzuwarten brabbelt Telekom-Kalle unermüdlich weiter. „Den gebe ich dir mal, der hat kein Guthaben mehr auf dem Handy.“

Telekom-Kalle heißt übrigens Telekom-Kalle, weil er als Techniker bei einem großen Telekommunikations-Konzern – dessen Namen ich wegen Schleichwerbung*  hier nicht nennen möchte – gearbeitet hat. 

„Eh, hier ist der Fischer, bei mir ist eingebrochen worden. Die Bullen waren auch schon hier und der von der Kripo meinte, meine Tür darf so über die Nacht nicht bleiben. Die kann man mit einem Stück Draht oder einer Scheckkarte aufmachen.

„Ey, ein Aktenzeichen hat der Wanzen-Fischer auch“, brüllt Telekom-Kalle aus dem Hintergrund.

„Ja, das hab ich“, triumphiert Fischer. “ Ich kann dir das ja mal kurz vorlesen.“

„Nein, lass mal gut sein“, bremse ich sein Vorhaben und fahre rechts ran, um meine Gedanken zu ordnen. Herr Fischer und Herr Schauenburg alias Telekom-Kalle sind langjährige Mitglieder der regionalen Trinker-Szene und wohnen in einem Mietshaus. Als Hausmeister führe ich dort Servicearbeiten durch: Kontrollgänge, Wartung und Gartenarbeiten – alles nach einem festen Fristenplan. Für darüber hinausgehende Tätigkeiten gibt es einen Verwalter, der Reparaturen koordiniert. Ich bin also ohne Auftrag nicht handlungsbefugt und für eine aufgebrochen Wohnungstür in keinem Fall verantwortlich. Auf den Punkt gebracht: Ich telefoniere gerade in meiner Freizeit mit zwei schwer Alkoholikern, die sich meine Telefonnummer gegooglt haben.

„Ruf morgen beim Hausverwalter an. Ich bin vierzig Kilometer weit weg und kann nicht helfen. Höchstens in der früh.“

„Aber der von der Kripo hat gesagt die Tür müsste heute noch gesichert werden. Weil die so kaputt ist. Und im Büro der Hausverwaltung geht mal wieder keiner ans Telefon“, flucht Fischer.

„Es ist ja auch schon kurz nach sechs. Sprechzeiten sind bis siebzehn Uhr. Ich versuche es mal über eine andere Nummer und melde mich gleich.“ Im Hintergrund zetert ein weiteres Mal Telekom-Kalle was von Aktenzeichen. Ade, du schöner Feierabend.

Über eine private Handy-Nummer rufe ich den Verwaltungschef an. Wir kennen uns viele Jahre und er nimmt sofort ab. Ich schildere das Problem. Wir sind uns einig: Dem Mieter muss geholfen werden.

Wohnungstüren gehören zum Gemeinschaftseigentum, also ist der Vermieter erst einmal für die Reparatur zuständig

Nach einem kurzen Umweg über Werkstatt und Baumarkt erreiche ich eine Stunde später die Wohnung. Die Tür steht weit offen. Aus einer Wolke Zigarrenqualm heraus erscheint mir Herr Fischer.

„Ey Meister, bringst du mir jetzt ne‘ neue Tür“,  lallt die figürlich schmalere Ausgabe von Altrocker Udo Lindenberg.  Leider hat Herr Fischer ausser entfernte Ähnlichkeit wenig mit dem Panik-Sänger gemein. Heute trägt er noch nicht einmal eine Hose und hat sich sicherlich auch nicht nur mit Eierlikör so zu gedröhnt.

„Was wurde denn geklaut“, interessiere ich mich um auf andere Gedanken zu kommen.

„Na nichts“, gröllt Herr Fischer. „Was ist denn schon bei mir zu holen. Ich hab, doch noch nicht mal einen Flachbildfernseher und Rente gibt’s erst nächste Woche.“

Hoffentlich gibts dann auch ne‘ neue Hose, denke ich. „Und warum hast du denn die Polizei angerufen?“ Sorgfältig betrachte ich das massive Türblatt. Von aussen ist kein Schaden erkennbar. Kein Kratzer. Nichts.

„Das mit den Bullen war Telekom-Kalle. Ich hab doch kein Guthaben mehr.“

Langsam werde ich ungeduldig, denn auch an der dicken Stahlzarge gibt weder Lackabplatzungen noch andere sichtbare Spuren, die auf einen Einbruch hinweisen. „Ich will wissen, was passiert ist.“

„Na als ich vom Bier holen kam, war die Tür offen.“

„Das Türschloss ist heil. Hattest du denn abgeschlossen?“

„Nee, ich schließe nie ab. Warum auch?“ Erbost schüttelt er den Kopf, als würde ich etwas Schlimmes von ihm verlangen. Vor sich hin brummelnd machte er sich es auf einem Treppenabsatz bequem.

„Hattest du denn wenigstens richtig zugezogen?“

„Komisch, dass haben mich die Bullen auch gefragt.“

Ich halte den Atem und meinen Ärger an und betrete den dunklen Wohnungsflur um mir die Tür von innen anzusehen. . Es kostet mich Überwindung, denn der Spitzname Wanzen-Fischer kommt sicherlich nicht von ungefähr. Eine Decken-Lampe? Fehlanzeige! Auch gut … – da fällt der Dreck wenigstens nicht so sehr auf. Drinnen steckt ein Schlüssel samt Bund im Schloss – ich drehe. Einmal, zweimal und zurück.

Kaum zu glauben – alles funktioniert

Verarscht fühle ich mich aber erst, als ich den Zusatzriegel sehe, mit dem Herr Fischer die Tür bequem, auch im Falle einer tatsächlichen Beschädigung, hätte sichern können – wenigstens über Nacht!

Da man die Mobilität von Wanzen nicht unterschätzen sollte, treffe ich mich mit Herrn Fischer wieder auf dem Hausflur.  Für mich steht fest: Es hat hier kein Einbruch stattgefunden. „Was hat der Polizist genau gesagt“, knurre ich ihn an, während ich mit dem Handy ein Beweisfoto vom vermeintlichen Tatort schieße, um später zu beweisen zu können, dass nichts zu beweisen ist.

„Na ja, wie ich schon sagte. Die Tür kann man ohne Werkzeug aufmachen und sie muss heute noch gesichert werden. Willst du das Aktenzeichen?“ fragt Herr Fischer, diesmal zaghaft. Langsam dämmert ihm, dass irgendetwas falsch läuft.

Da der Schlüssel noch von innen steckt würde ich am liebsten die Tür ins Schloss ziehen und vergnüglich dabei zusehen, wenn Herr Fischer, Kumpane Telekom-Kalle und oder die Polizei versuchen die Tür ohne Werkzeug zu öffnen.

Aber was soll’s: es ist ja nichts passiert. Dieser Fall bleibt ungeklärt.

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